Ortschronik Lichterfelde 1994
(PN. storchog.wps)
Nach alten Bauernregeln und Überlieferungen zählt der 24. März als Storchentag. Um diese Zeit kommen die Störche aus Afrika zu uns, um hier zu brüten und ihre Jungen aufzuziehen.
Seit jeher gab es in Lichterfelde und seinen Ortsteilen Storchennester. Es wird von Horstpaaren in Buckow und in Karlshöhe berichtet.
So lange das Gut in Lichterfelde bestand und alle Scheunen und Stallungen genutzt wurden, hatte der Storch sein Nest auf dem Gebäude hinter dem Speicher, längst der Britzer Straße. Wer zum Friedhof fuhr, konnte die Störche dort beobachten. Von der Schule aus sahen die Kinder den Storch auf dem Dach.
Im Oktober 1948 zerstörte ein Brand dieses Gebäude mit dem Storchennest. Als dann im Frühjahr das Storchenpaar zurückkam, mussten sie sich einen neuen Platz suchen. Auf dem Kuhstall wurde eine Nistmöglichkeit geschaffen, welche die Störche annahmen. Als doch der Kuhstall für mehrere Neubauern aufgeteilt und ein Stück abgerissen wurde, musste der Storch diesen Platz verlassen.
Die Brennerei wurde nicht mehr genutzt, der Schornstein war ein guter Anflugpunkt.
Einige Bürger beschlossen dem Storch dort ein Quartier zu schaffen. Das war eine schwierige Aufgabe, denn es musste eine Unterlage auf den Schornstein gebracht werden. Es ist bekannt, dass ein Jungstorch in den Schornstein gefallen war und man ihn erst später verletzt und tot gefunden hatte.
Einige Interessenten, Otto Woutskowski, Erich Schulz, Karl Daenicke, Otto Gerloff und Ulrich Hoppe entwarfen einen Plan, wie diese Aufgabe zu lösen sei. Einige junge, beherzte Naturfreunde befestigten vom Dach der Brennerei und durch die Besteigung des Schornsteins von Innen, eine Unterlage für das Nest .
Den zurückkehrenden Störchen gefiel dieser Platz. Jedes Jahr kamen sie, um zu brüten und ihre Jungen aufzuziehen. Reichlich Futter finden die Vögel in unserer Gegend. Nur ab und an kam es zu Kämpfen um diese Nistmöglichkeit. Immer wieder wurde der Versuch gestartet, noch einem Storchenpaar eine Brutstätte zu geben. Auf einem Baum am Weg durch die Wiesen von der Steinfurter Straße zum alten Fußballplatz war die Spitze heraus geschnitten und ein Wagenrad angebracht worden. Früher stand in der Steinfurter Allee 6 auf dem Feld eine Scheune mit einer Nisthilfe für Störche, die aber nie bezogen wurde. In Hoppes Garten boten Weiden eventuelle Möglichkeiten. Also wurde die größte Weide auf der Wiese gekröpft und eine stabile Nestauflage befestigt. Würden die Störche diesen Platz zum Nestbau akzeptieren? Die Störche kamen, sie bezogen das alte Nest auf dem Schornstein. Es kamen neue Paare, der Kampf begann. Sie nutzten auch die Weide, aber nur als Startplatz, es kam nicht zum Nestbau. Auch die anderen Versuche blieben ergebnislos.
Mit jedem Frühling zogen die Störche bei uns in Lichterfelde ein. Zunächst erschien einer, z.B. 1991 am 1. April, 1992 am 16.04., 1993 am 5. April, dann kam einige Tage später der Partner hinzu. In guten Jahren wurden vier Jungstörche groß, manchmal jedoch keiner.
Auf ihrem Zug sind die Störche vielen Gefahren ausgesetzt. Durch Drähte und Leitungen sind in Deutschland 77% aller tot aufgefundenen Störche verendet. 24% aller zurückgemeldeten beringten Störche verbrennen in den Stromleitungen.
Im Jahre 1991 wurde am Montag dem 10. Juni zwischen 9 und 10 Uhr dem Brennereistorch ein Stückchen Draht zum Verhängnis. Das Männchen verfing sich beim Ordnen seines Nestes mit dem Hals in einem Draht und konnte sich nicht mehr befreien. Da in Lichterfelde keine genügend hohe Leiter zur Verfügung stand, um an den am Schornstein hängenden Storch zu gelangen, wurde die Eberswalder Feuerwehr bemüht. Alleine mit drei Jungstörchen wartete das Weibchen den ganzen Tag auf seinen Partner. Erst am Abend wagte es sich auf Nahrungssuche. Die zwei schwächsten der drei Jungen entfernte man aus dem Nest, weil der Altvogel mit der Aufzucht überfordert war und brachte sie in den Tierpark Eberswalde. Für den übrig gebliebenen Altstorch begann nun eine schwere Zeit. Futter suchen, füttern, bewachen, wärmen und schützen des letzten kleinen Vogels ohne die Hilfe des Partners. Doch es kam kein Unwetter und es gab reichlich Nahrung. Das Weibchen fütterte sein Junges und zog es groß für die Reise in den Süden. Das tote Männchen lag bis zum Sommer 1993 in einer Tiefkühltruhe im Forstinstitut Eberswalde. Es sollte für die Lichterfelder Schule präpariert werden. Leider versagte die Kühlung und so ging der Vogel verloren. Die lange Bearbeitungszeit für eine Genehmigung von der Landesnaturschutzbehörde vereitelte die Bemühungen.
Einer der Jungstörche im Tierpark freundete sich mit einem Flamingo an.
Von Beobachtungen mit dem Lichterfelder Storch berichtet Frau Gretel Hoppe:
„Auf der Wiese wurde zur Fischhaltung ein Teich ausgehoben und mit Fischen besetzt. Karpfen von 20 bis 30 cm waren die größten Fische. Frösche und andere Wassertiere siedelten sich an, Wasserlilien und Seerosen gaben dem Teich bald ein natürliches Aussehen. Vom Aushub entstand ein kleiner ‚Berg‘, der allmählich mit Gras und Wiesenblumen bewuchs. Diesen kleinen Hügel benutzte der Storch, um nach Nahrung Ausschau zu halten und wieder gut abfliegen zu können. Der Wasserspiegel des Teiches senkte sich in Trockenperioden. Das machte sich der Storch zum Nutzen. Mit seinem langen Spieß hatte er einen Karpfen quer im Schnabel. Ich dachte, er wird ihn wieder fallen lassen, kann diesen großen Fisch nicht fressen. Wie erstaunt war ich doch, dass der Storch den Fisch drehte, dass der Kopf des Fisches zuerst in seinem Schnabel ging. Jetzt dachte ich, der Vogel muss an diesem großen Happen ersticken. Der Schnabel stand offen, der Fisch saß halb im Schlund. Was tun – war mein Gedanke – aber der Storch mühte sich, bekam den Fisch weiter in den Schlund, der Schnabel ging zu und der Storch hatte einen ganz dicken Hals. Noch immer im Zweifel, ob er den großen Fisch hinunterwürgen kann, denn lange stand er still mit diesem unnatürlich verbogenen Hals. Ich musste mich lange gedulden, allmälich rutschte der Bissen tiefer, der Storch erhob sich, um zur Fütterung der Jungen in sein Nest auf dem Schornstein zu fliegen.
Ob der Storch seinen Storchenkindern auch Geschenke macht?
Ich hatte meine Wäsche zum Trocknen im Garten aufgehängt. Der Wind blies kräftig und riss mir ein kleines Tuch von der Leine. Der Frühlingswind hatte auch trockene Äste abgerissen, sie lagen unter den Bäumen, auf der Rasenfläche überall verstreut. Das war das schönste Material für den Nestbau des Storches. Emsig sammelte er Ast für Ast, nahm auch den Zweig auf, an dem sich mein kleines Seidentuch durch den Wind verfangen hatte und flog damit zum Nest. Noch tagelang sah ich mein buntes Tuch wie eine Fahne im Wind flattern, hoch oben am Nestrand.“
-Zu einem wahren Schmuckstücken hat sich die Familie Pawlick die ehemalige Brennerei auf dem Lichterfelder Gutshof ausgebaut. Das Gebäude konnte von der Gemeinde aus Kostengründen nicht mehr instandgesetzt werden und war einsturzgefährdet. Mit einer aufwendigen Sanierung hat sich Familie Pawlick das Gebäude als Wohnhaus umgebaut. Da auch der alte große Schornstein (Nistplatz für den Storch) abgerissenwerden musste, hat Familie Pawlick für den Storch eine neue Niststätte geschaffen, die auch von den Störchen angenommen wurde. Seite 3 SCHORFHEIDE KURIER Ausgabe 4 / 2005
Hier eine kleine Statistik über aufgezogene Jungstörche in den Jahren 1958 – 1988 .
Jahr Brennerei Blütenberg Anzahl d. JungenBemerkung
1958×3
1959x2davon 1 Junges tot
1960x2davon 2 Junge tot
1961×3
1962×2
1963×1
1964×3
1965×3
1966×4
1967×3
1968×4
1969 -1975 keine Angaben
1975×1
1976x2schlechteste Storchjahr seit Jahrhundertwende in Deutschland
x0nicht gebrütet, Horst besetzt
1977x0Horst besetzt x0Horst besetzt
1978×2 x3
1979x0Horst besetzt x4
1980×4 x4
1981×2 x3
1982x0Horst besetzt x2
1983×1 x2
(1984 im Kreis Eberswalde 35 Horste mit 28 Paaren, davon 21mit Jungen, 52 Jungstörche, 5 Horste unbesetzt, 2 zeitweise Horstbesuche,):
1985×1 x0Horst besetzt
1986x0Horst besetzt x4
1988×3 x4
……………..???…………….
1991×3
1994×3 x4
1995
Im Frühjahr 1995 rückte die Feuerwehr von Lichterfelde zu einem erneuten Einsatz an der Brennerei aus. Der tonnenschwere Horst hatte im laufe der Jahre eine enorme Größe erreicht. Um den Schornstein zu entlasten, sollte das Nest am Freitag dem 24.März um 17 Uhr auf 1/3 abgetragen werden. Nach einer Stunde anstrengender Arbeit mit der Forke auf der Leiterspitze hatten es die beiden Feuerwehrleute Wrase F. und Drews Olaf geschafft, ihren Auftrag ohne Zwischenfälle zu erfüllen.